Wirtschaft
6.05.2022

Nächste Sanktion Öl-Embargo? Warum das Russland besonders hart treffen würde

Nächste Sanktion Öl-Embargo? Warum das Russland besonders hart treffen würde

Bislang galt Deutschland international als Bremser bei den Sanktionen gegen Russland – gerade, wenn es um Energie ging. Nun scheint die Bundesregierung zumindest beim Öl vorzupreschen. Das könnte Wirkung zeigen. Denn Russlands Optionen sind beschränkt.

Es war ein Auftritt mit Knalleffekt. Auf der Sitzung der EU-Botschafter in Brüssel ging es um das geplante sechste Sanktionspaket gegen Russland. Gleich als Zweiter meldete sich der deutsche Repräsentant Michael Clauß zu Wort: Wenn es schon ein weiteres Sanktionspaket gebe, dann müsse es auch kraftvoll sein, sagte Clauß.

Es müsse auf jeden Fall auch Sanktionen gegen Ölimporte enthalten. Deutschland sei nicht nur bereit, Ölsanktionen zu unterstützen; nein, Berlin fordere sie jetzt sogar.

Das Statement des Spitzendiplomaten dürfte viele im Raum überrascht haben – positiv wie negativ. Wird doch die Bundesregierung seit Wochen dafür kritisiert, bei Öl- und Gassanktionen zu bremsen. Bisher hatten sich viele EU-Länder, die ein Embargo wegen der hohen Kosten für die eigenen Verbraucher und Unternehmen skeptisch sehen, hinter dem klaren Nein aus Berlin versteckt. Das geht jetzt nicht mehr.

Ob alle EU-Staaten aber sofort zustimmen werden, wie bei den letzten Paketen, ist unklar. „Die vorangegangenen Sanktionspakete waren einfacher“, sagt ein EU-Diplomat. „Diesmal wird es auch um Öl gehen, und damit sind die wirtschaftlichen Risiken für Europa höher.“

Denn es geht nicht nur um die Ölversorgung und Energiepreise; es besteht die Gefahr, dass Putin daraufhin der EU das Gas abdreht. Gleichwohl liegt ein Ölboykott näher als ein Gasembargo: Im Vergleich zum Gas würde Russland finanziell stärker getroffen, zugleich sind die Versorgungsrisiken für die EU geringer. Westeuropäische Raffinerien können leicht über Häfen wie Rotterdam versorgt werden.

Nur die relativ isolierten ostdeutschen Raffinerien im Leuna und Schwedt hängen an der „Druschba“ genannten Ölleitung nach Russland und können bestenfalls mit einigem Aufwand über alternative Wege mit dem Rohstoff versorgt werden.

Nachdem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Dienstag vergangener Woche mit Polen eine Belieferung dieser Standorte über den Ölhafen Danzig ausgehandelt hatte, gilt ein Ölembargo auch dort als „handhabbar“.

Öl ist für Russland wichtiger

Dass Moskau diese Woche alle Gaslieferungen nach Polen einstellte, kaum dass das Danzig-Abkommen unterschrieben war, zeigt, wie Russland auf das drohende Ölembargo reagiert. Auf das Schadenspotenzial wies der Vorstandsvorsitzende des größten deutschen Öl- und Gaskonzerns Wintershall Dea hin: Russlands Staatshaushalt werde zu 35 Prozent aus Ölverkäufen gedeckt, aber nur zu sieben Prozent durch Gaseinnahmen, sagte Mario Mehren bei der Vorlage der Quartalsbilanz.

Auch im langfristigen Durchschnitt seien die Ölverkäufe für die Deviseneinnahmen Moskaus drei- bis viermal wichtiger als der Gasexport, sagt Gunter Deuber, Head of Research bei der Raiffeisen Bank International in Wien. Das sechste Sanktionspaket, das die Kommission nächste Woche vorlegt, wird aber wohl keinen vollständigen und sofortigen Importstopp für Öl und Gas vorsehen. Stattdessen strebt die Kommission „schlaue Sanktionen“ an. Sie sollen Russland treffen, ohne Bevölkerung und Firmen in der EU zu stark zu belasten.

Zu den Alternativen gehört ein Preisdeckel für Öl und Gas. Diskutiert werden auch gestaffelte Sanktionen. So könnte das Ölembargo mit einer großzügigen Übergangsfrist beschlossen werden, die allen Mitgliedsländern ausreichend Zeit lassen würde, um alternative Lieferquellen zu finden.

Möglich wäre auch, nach Lieferwegen, Ölsorten und Produkten zu differenzieren, etwa zunächst nur Öllieferungen zu stoppen, die mit Tankzügen oder Schiffen nach Europa kommen. Das könnte bedeuten, in einem ersten Schritt nur die Einfuhr raffinierter Ölprodukte aus Russland zu stoppen.

EU-Länder beziehen neben Rohöl fertige Produkte wie Benzin, Diesel oder Kerosin aus russischen Raffinerien. Diskutiert wird auch, das Embargo auf einzelne Länder herunterzubrechen. Jedes Land könnte dabei je nach eigenem Bedarf festlegen, wie schnell es auf Lieferungen verzichten will. Es wäre ein typisch europäischer Kompromiss, der nötig sein könnte, weil Ungarn ein Öl- und Gasembargo bisher ausschließt.

Dabei steht aber immer die Frage im Raum, was ein Embargo bringt, wenn Russland das Öl an andere Kunden verkauft. Logistikexperten weisen aber darauf hin, dass es Russlands Öltanker nicht leicht haben dürften, den Weltmarkt außerhalb Europas zu erreichen.

Einbußen lassen sich nicht ausgleichen

„Die russischen Verladeterminals an der Ostsee können von den ganz großen Tankern nicht angefahren werden“, gibt Thomas Puls, Experte für Verkehr und Infrastruktur beim Institut der deutschen Wirtschaft, zu bedenken. Ein Umladen von kleinen Tankern in größere, die dann die neuen Käufer in China oder Indien erreichen könnten, scheine kaum möglich, „da der nächste geeignete Hafen außerhalb der EU wohl Port Said (Ägypten, d. Red.) wäre“.

Weitere Routen, um das Öl loszuwerden, das Europa nicht mehr kauft, stehen Russland kaum zur Verfügung: Die Absatzeinbußen im Westen lassen sich nicht ausgleichen. Die russischen Ölhäfen im Fernen Osten sind ohnehin längst ausgelastet und speisen sich aus anderen Ölfeldern.

Und Schwarzmeer-Häfen sind in Reichweite des Kriegsgegners Ukraine und zumindest gefährdet. Der russische Ölhafen Noworossiysk am Schwarzen Meer, Endpunkt der CPC-Pipeline aus Kasachstan musste wegen schwerer Sturmschäden seinen Betrieb Ende März ohnehin fast komplett einstellen und bleibt noch lange unbenutzbar.

So ist es kein Wunder, dass Russland schon jetzt gezwungen ist, sein Rohöl wie sauer Bier für enorme Rabatte von 35 bis 40 Dollar pro Barrel (Fass mit 159 Litern) anzubieten.


Originaler Artikel:
https://www.welt.de/wirtschaft/plus238473415/Sanktionen-Ein-Oel-Embargo-wuerde-Russland-hart-treffen.html

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